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Dienstag, 14. Juli 2015

Im Zweifel gegen diese EU


Vor über zehn Jahren saß ich im Publikum eines europapolitischen Podiums beim Sommercamp der JungdemokratInnen/ Junge Linke. Dort sprach Tobias Pflüger, damals frischgebackener Europaabgeordneter darüber, warum der Entwurf für die EU-Verfassung abzulehnen und die linke „Nein“-Kampagne in Frankreich hingegen zu unterstützen sei. Trotzdem bemühte sich Tobias auf eine Teilnehmerfrage hin zu betonen, müsse Deutschland in der EU bleiben, weil ein auf sich gestelltes Deutschland zu gefährlich für Europa sei, wie die historische Erfahrung zeige. Sieben Jahre später argumentierte der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko ähnlich in einer Runde von LINKE-Mitgliedern, bei der es um den europapolitischen Teil des Erfurter Grundsatzprogramms ging. Die EU sei definitiv neoliberal, undemokratisch und forciere Militarisierung, aber ein Kampf um ihre Auflösung sei dennoch falsch, weil sonst Schlimmeres drohe. Ich wähle hier Tobias und Andrej als „Kronzeugen“, weil an der demokratiepolitischen und anti-neoliberalen Street Credibility der beiden kein Zweifel besteht. Bis Mitte Juli 2015 konnten anti-neoliberale Linke m.E. nur wie eben zitiert begründen, warum man trotz alledem eine linke Politik innerhalb der EU verfolgen möchte. Nachdem von Sonntag auf Montag eine Vereinbarung abgeschlossen wurde, die von Seiten der Geldgeber zum ausdrücklichen Ziel hat, Griechenland zu demütigen, seiner linken Regierung ein deutliches Scheitern beizubringen und die Austerität zu dementieren, muss die Diskussion neu geführt werden.


In der Debatte um das Europawahlprogramm der LINKEN Anfang 2014 entstand eine aufgeheizte Stimmung. Trotz Eurokrise, massiver Spardiktate, offensichtlicher Entdemokratisierung und gleichzeitiger Aufrüstung der EU an ihren Außengrenzen sowie durch Forschungsgelder für Drohnen u.ä. wurde die Beweislast zuungunsten von denjenigen gedreht, die die Politik der EU kritisierten. Es wurde von vielen behauptet, es sei ja gar nicht die EU, die so schlimm sei, sondern nur die Politik der Mitgliedstaaten verursache den Schaden. Man ist versucht, einige Anträge und Redebeiträge aus der Schublade zu holen von denjenigen, die damals meinten, die EU als „linkes Projekt“ schönreden zu können. Doch diese Genugtuung führt kaum weiter – notwendig ist eine schonungslose Analyse, ob und wie es jetzt überhaupt weitergehen kann. Es ist keine unglückliche Fügung, dass am Ende der demütigende Deal für Griechenland herauskam, wie er nun vorliegt. Wie das „Institut Solidarische Moderne“ richtig festhält, geschah das „nicht aus ökonomischen, sondern allein aus politischen Gründen: Athen durfte und darf nicht zum Beispiel eines demokratischen Bruchs mit der Austerität werden, Athen darf kein Beispiel für Madrid, Dublin, Glasgow, auch nicht für Rom, und Paris werden“.

Alle wichtigen Argumente, mit denen noch irgendwie für die EU geworben werden konnte, sind jetzt endgültig hinfällig. Für einen Binnenmarkt braucht es nicht den Überbau einer politischen Union – dazu reicht auch eine Freihandelszone, worauf die britischen Tories im Grunde schon immer die EU zurechtstutzen wollten. Es zieht auch das Friedensargument nicht mehr, denn alle Mitgliedstaaten der EU sind gegeneinander ohnehin strukturell nicht angriffsfähig. Nach dem Debakel von Afghanistan-, Irak- und Libyenkrieg wird sich ohnehin sehr lange keine Regierung mehr trauen, mit Säbelrasseln ihrem Volk gegenüberzutreten. Die EU war nie ein Träger des sozialen Fortschritts (außer, er war wie Geschlechtergleichstellung und Antidiskriminierungspolitik kompatibel mit effizienterer Kapitalverwertung). Nun aber ist endgültig klar, dass die EU ein Bollwerk gegen sozialen Fortschritt ist, sie ist genau die „fleischgewordene Höllenmaschine“, die Pierre Bourdieu immer im Neoliberalismus gesehen hat. In der EU konkurrieren andere politische Kräfte nicht auf einem neutralen Terrain mit dem Neoliberalismus. Der Neoliberalismus ist immer mit einem deutlichen Vorsprung ausgestattet, und inzwischen scheint dieser uneinholbar geworden zu sein.

Die deutsche Linke muss sich nun vor allem damit konfrontieren, dass inzwischen auch das letzte Argument entfällt, mit dem man in Deutschland „trotz alledem“ eine grundsätzliche Ablehnung der EU bislang ablehnen konnte. Wer jetzt noch glaubt, die EU halte Deutschland irgendwie im Zaun, zähme Deutschland und begrenze seine Macht auf sinnvolle Weise, dem ist nicht mehr zu helfen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die neoliberalen EU-Verträge wird Deutschlands wirtschaftliche und politische Macht sogar „gehebelt“. So viel politische Ökonomie muss sein: Auf deutschen Druck wurde in die Maastrichter und alle nachfolgenden EU-Verträge geschrieben, dass die Europäische Zentralbank nicht als „Lender of Last Resort“ auftreten darf – sie darf also (anders als jede andere wichtige Zentralbank der Welt!) nicht für die Euro-Mitgliedsstaaten einspringen, wenn sie in Liquiditätsprobleme geraten. Diesen wirtschaftspolitischen Irrsinn haben das Bundesverfassungsgericht und mit Einschränkungen der Europäische Gerichtshof vor Kurzem nochmals bestätigt. Damit wird die Macht Deutschlands gleich doppelt zementiert. Zum einen braucht es erst wegen der begrenzten Möglichkeiten der EZB überhaupt so etwas wie den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM), in den die Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Wirtschaftskraft einzahlen. Es ist völlig klar, dass Deutschland als ökonomisch stärkstes Land hier immer ein Veto-Spieler sein wird, der weitgehend den Bittstellern die Bedingungen diktieren kann - wie gerade im Falle Griechenlands geschehen. Zum anderen profitiert Deutschland zusätzlich wirtschaftlich von der Krise durch rekordmäßig niedrige Anleihezinsen - die Bundesrepublik bekommt auf den Finanzmärkten das Geld quasi hinterhergeworfen, sie saniert sich an der Schwäche der Anderen.  

Natürlich gab es auch vor dem Euro eine starke deutsche Dominanz mit der D-Mark als faktischer Leitwährung auf dem Kontinent. Aber selbst unter diesem „System Tietmeyer“ (benannt nach dem damaligen Chef der Bundesbank) wurde der Neoliberalismus nicht so rabiat durchgesetzt, waren die Spielräume nicht so deutlich geschrumpft wie unter dieser EU und ihrer Währungsunion. In allen EU-Ländern werden Linke (anti-neoliberale SozialdemokratInnen und Grüne mitgezählt) jetzt diskutieren, was das für ihre künftige Politik bedeutet. Klar dürfte jetzt sein: Die dringend notwendige Re-Demokratisierung, die nötige radikale wirtschaftspolitische Umkehr von der Austerität zu einem öko-sozialen Eurokeynesianismus ist innerhalb dieser EU-Strukturen nicht zu haben. Wenn ein linker Kurswechsel in Europa mehrheitsfähig würde, bräuchte er in jedem Fall auch supra-nationale Institutionen, gerade für die Länder, die wirtschaftlich und politisch nicht so erdrückend stark sind wie Deutschland. Aber aus Sicht einer fortschrittlichen Politik ist diese EU, die Deutschland „hebelt“, statt es zu zähmen, und die das Spielfeld immer deutlicher zugunsten des Neoliberalismus kippt, keine geeignete Plattform. Diese EU ist ein Käfig, aus dem es auszubrechen gilt.

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